BEITRAG
Grenzen entlasten auch
Die erste mehr als dreistündige Lesung über die drei interfraktionellen Gesetzesentwürfe zur Präimplantationsdiagnostik (PID) offenbarte die unterschiedlichen Meinungen quer durch die Parteien zu diesem Thema, an dem sich im wahrsten Sinne des Wortes die Geister scheiden. Vielleicht konnte am ehesten noch der Beitrag des behindertenpolitischen Sprechers der Fraktion „Die Linke“, Dr. Ilja Seifert, der seit einem Badeunfall querschnittsgelähmt ist, mit seinem Eintreten für ein Verbot der PID Nachdenklichkeit erzeugen. Der im Rollstuhl sitzende Seifert führte aus: „Wer ein solches Leben hat, für den gibt es nichts Wichtigeres: Es ist nämlich das einzige.“
Auch wenn derzeit wohl über ein Drittel der Abgeordneten dem Hintze-Flach-Entwurf, der trotz gegenteiliger Beteuerungen eine weitreichende Zulassung der PID vorsieht, zustimmen würde, ist noch keineswegs klar, wie das Abstimmungsergebnis im Juni schließlich aussehen wird. Noch sind viele Abgeordnete unentschieden und für Argumente offen. Von den vielen Aspekten, die vor und während der Debatte im Bundestag schon beleuchtet wurden, sei hier noch einmal besonders auf einen Punkt hingewiesen:
Kein Mensch kann diese Verantwortung tragen.
Wenn der Hintze-Flach-Entwurf die Entscheidung darüber, welche Erbkrankheiten eine Aussortierung der Embryos rechtfertigt, an Ethikkommissionen delegieren will, dann wird damit deutlich, dass die Entscheidung über die Selektion nicht einem Arzt alleine zugemutet werden kann, sondern eine Kommission zuständig wird, um die Verantwortlichkeit auf mehrere Personen zu verteilen. Indirekt wird damit zugegeben, dass eine Entscheidung zu treffen, wer leben darf und wer aussortiert wird, die Kompetenzen eines Menschen übersteigt. Das Ausweichen in eine Kommission, also das Verteilen der Entscheidung auf mehrere Personen, kann aber nicht die Lösung für etwas sein, was grundsätzlich der Entscheidungskompetenz des Menschen entzogen ist – und das aus gutem Grund.
Denn wenn die Entscheidung über Leben-Dürfen oder Nicht-Leben-Dürfen von Menschen getroffen wird, übernehmen sie eine Verantwortung, die sie nicht tragen können und der keiner gewachsen ist. Nicht die Eltern, weil sie den Gedanken „und wenn wir ein anderes Kind gewählt hätten“ nicht verdrängen können, nicht der Arzt oder Genetiker, der „seiner Sache nie sicher sein kann“ und der mit dem Töten einer großen Zahl von nicht ausgewählten Embryos leben muss, noch das schließlich auserwählte Kind, das einmal wissen wird: „eine große Zahl anderer Embryos musste für mich sterben“. Die dem Menschen gesetzten Grenzen sind eine große Entlastung für ihn: er muss nicht eine „übermenschliche“ Verantwortung tragen. Überschreitet er seine Grenzen, wird er verantwortlich für etwas, was weder ein einzelner Mensch noch eine Kommission tragen kann.
Mit der Zustimmung zur PID würde es im Unterschied zu heute auf einmal eine Instanz geben, bei der man sich „beklagen“ kann, wenn man nicht den gewünschten Nachwuchs erhält. Denn bei den Eltern wird die Erwartung geweckt, dass der Embryo, der alle wie auch immer gearteten Qualitätschecks überstanden hat und leben darf, genau so ist, wie sie es sich vorgestellt haben und sie werden ihren Anspruch auf ihr Wunschkind bei den für die Selektion Verantwortlichen einklagen. Die Flut der Prozesse oder der Spätabtreibungen, wenn ihre Erwartung nicht erfüllt wird, kann man sich nur ausmalen.
IM PORTRAIT

Horst Hennert
Horst Hennert, geboren 1943 in Bad Godesberg, ist seit 1971 Geschäftsführer der Fördergemeinschaft für Schulen in freier Trägerschaft; Herausgeber der pädagogischen Schriften die „Gelbe Reihe“ und Chefredakteur von www.erziehungstrends.de. Derzeit leitet er das Bildungszentrum Feldmark in Berlin.