UNTERSTÜTZER
Prof. Dr. Axel W. Bauer

Bei der Präimplantationsdiagnostik handelt es sich um einen manipulativen Eingriff in den frühen Embryo, bei dem Zellen für Untersuchungszwecke entnommen werden. Der Gesundheit des betroffenen Embryos dient ein solcher Eingriff sicher nicht.
Zum einen kann der winzige Embryo bei der Zellentnahme selbst irreparabel beschädigt werden, zum anderen fehlen ihm jedenfalls nach der Entnahme die besagten Zellen. Da die Zellen in diesem Stadium vermutlich nicht mehr totipotent sind, ist es keineswegs sicher, dass ihre Wegnahme in allen Fällen problemlos durch weitere Zellteilungen kompensiert werden kann.
Ferner gibt es bei jedem biomedizinischen Untersuchungsverfahren „falsch positive“ und „falsch negative“ Ergebnisse. Bei einem „falsch positiven“ Resultat wird die zu testende Krankheitsanlage fälschlicher Weise diagnostiziert, obwohl sie gar nicht vorhanden ist. Bei einem „falsch negativen“ Ergebnis würde die gesuchte Krankheitsanlage dagegen fälschlicher Weise übersehen, obwohl sie vorliegt. „Falsch positive“ Ergebnisse kommen besonders dann zustande, wenn die angewendete Untersuchungsmethode eine hohe Sensitivität aufweist, wenn sie also darauf angelegt ist, möglichst wenige Krankheitsanlagen zu übersehen.
Ein Reproduktionsmediziner, der sich gegen die spätere Forderung zivilrechtlichen Schadensersatzes nach der Geburt eines von seinen Eltern so nicht erwünschten Kindes absichern will, täte also im eigenen Interesse gut daran, Embryonen mit einem „positiven“ Testergebnis auf keinen Fall zu implantieren, denn der wegen eines falsch positiven Untersuchungsresultats „verworfene“ und deshalb nie geborene Mensch (be)klagt (sich) nicht. Im Fall der Geburt eines falsch negativ Getesteten lägen die Dinge hingegen anders, denn es könnten dem an der Zeugung beteiligten Arzt erheblicher finanzieller Schaden sowie eine Minderung seines beruflichen Ansehens wegen mangelhafter fachlicher Expertise drohen.
Schließlich kann man gegen die Präimplantationsdiagnostik einwenden, dass die genetische Untersuchung eines wenige Tage alten Embryos nicht ausreichen kann, um seine spätere körperliche und geistige Entwicklung im Detail sicher zu prognostizieren. Es ist also vollkommen spekulativ, wenn jetzt mitunter behauptet wird, durch die Einführung der PID könne die Zahl der Spätabtreibungen gesenkt werden. Es dürfte eher so sein, dass die Bandbreite von „Normalität“, die in unserer Gesellschaft künftig noch toleriert werden wird, durch die Möglichkeiten, welche die PID bietet, deutlich schmaler werden wird. Immer geringere Abweichungen von der vermeintlichen „Idealnorm“ werden künftig bereits durch die PID vorselektiert werden, und diese Entwicklung wird sich nach erfolgter Pränataldiagnostik weiter fortsetzen. Denn ein Embryo, der nach einer PID erfolgreich in die Gebärmutter implantiert werden konnte, hätte ja nur die erste Hürde künftiger „Qualitäts-Checks“ überlebt. Bis zur Geburt blieben dann immer noch rund 260 Tage Zeit, in denen Humangenetiker, Gynäkologen und werdende Eltern dem Embryo bzw. dem Fötus das (Über-)Leben weiterhin schwer machen können.
Es ist sehr unwahrscheinlich, dass sich die PID dauerhaft auf bestimmte, als besonders schwerwiegend geltende Krankheiten oder Behinderungen eingrenzen ließe. Zum einen läge dann tatsächlich eine grundgesetzwidrige Diskriminierung derjenigen Menschen vor, die unter einer solchen Krankheit oder Behinderung leiden. Eine konkrete Liste mit für eine PID zugelassenen Krankheiten oder Behinderungen wird es also schon aus diesem Grund nicht geben. Zum anderen werden aber die dann als Alternative zu Gebot stehenden Einzelfallentscheidungen die Tendenz haben, immer mehr Normabweichungen für „schwerwiegend“ zu erklären, denn dieser wertende Begriff ist nirgendwo scharf definiert und unterliegt naturgemäß einem enormen kulturellen, sozialen und historischen Interpretationsspielraum. Mit Recht halten zum Beispiel viele langjährige Diabetiker ihre Erkrankung für durchaus schwerwiegend und wünschen sich, dass ihre Kinder vor dieser Stoffwechselstörung bewahrt bleiben mögen. Könnte also nicht auch eine genetisch erkennbare Disposition für den Diabetes mellitus schon bald eine mögliche Indikation zur PID und damit zur Tötung der entsprechenden Embryonen darstellen?
IM PORTRAIT

Prof. Dr. Axel W. Bauer
Prof. Dr. Axel W. Bauer, geboren 1955 in Karlsruhe, ist Hochschullehrer für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin